Hessisches Budget für Arbeit – Mehr Möglichkeiten für behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt!

Thesenpapier der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landeswohlfahrtsverband Hessen.

Einführung

Werkstätten für behinderte Menschen sind verpflichtet, „den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen“ fördert. Allerdings zeigt sich, dass die Anzahl der Personen, die aus der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt übergehen, relativ gering sind. In Hessen ist die Zahl der Übergänge zuletzt von 37 in 2012 auf 48 in 2013 gestiegen. Dies ist auf verstärkte Anstrengungen des LWV und der Werkstätten durch den Einsatz von Fachkräften für berufliche Integration, die Steigerung der Betriebsintegrierten Beschäftigung und die Unterstützung von Integrationsprojekten zurückzuführen.  Mit  dem Hessischen Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen (HePAS), das der LWV gemeinsam mit dem Ministerium für Soziales und Integration umsetzt,  können in den nächsten Jahren weitere Anreize für einen gelingenden Übergang gesetzt werden.

Bislang finden nur einige Menschen den Weg aus der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt. Und auch der „Karriereweg“ nach der Schule ist für wesentlich behinderte Menschen zumeist vorgezeichnet, da zur Beschäftigung in einer Werkstatt kaum Alternativen vorhanden sind. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entstehen ohne eine weitere Förderung nur wenige Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen. 

Neben den vorhandenen Instrumenten, die zu einer Verbesserung der Arbeitsmarktintegration führen  können, ist das Budget für Arbeit als ein weiteres Instrument in anderen Bundesländern erfolgreich ausprobiert worden. Es ist  daher sinnvoll, die Einführung eines Budgets für Arbeit  auch in Hessen zu prüfen und umzusetzen.

Auf der Grundlage von Erfahrungsberichten, Konzeptpapieren und einer Fachtagung, die  am 23.04.2015 durchgeführt wurde, legt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landeswohlfahrtsverband 10  Thesen zum Budget für Arbeit vor.

10 Thesen zum Budget für Arbeit

  1. Als „Budget für Arbeit“ wird in der Regel eine Leistung verstanden, bei der für behinderte Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind bzw.  ohne das Budget für Arbeit dort eine Beschäftigung finden würden, ein Zuschuss zu den Lohnkosten für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gezahlt wird. Mit diesem Zuschuss, den der jeweilige Arbeitgeber erhält, kann er auch die Menschen mit einem ortsüblichen oder tariflichen Lohn entlohnen, deren Produktivität deutlich gemindert ist. In den meisten Bundesländern, die das Budget für Arbeit umsetzen, werden bis zu 70% des  Arbeitgeberbruttos erstattet.

  2. In Hessen ist es in den letzten Jahren gelungen durch verschiedene Maßnahmen (Finanzierung der Fachkräfte für berufliche Integration in den Werkstätten,  Schaffung betriebsintegrierter Beschäftigung , Hessische Förderprogramme zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen, Unterstützung von Integrationsbetrieben etc.), immer mehr Menschen den Übergang von der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ebnen.

  3. Die Erfahrungen anderer Bundesländer zeigen, dass ein Budget für Arbeit mit dazu beiträgt,  die Chancen für behinderte Menschen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden, zu verbessern. Eine Beschäftigung ist auch für Menschen mit Behinderungen nicht nur Broterwerb, sondern wesentlicher Bestandteil eigener Lebensgestaltung. Mehr Eigenständigkeit, selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung werden dadurch möglich.

  4. Ein Budget für Arbeit wird daher auch in Hessen einen Beitrag leisten können,  möglichst vielen behinderten Menschen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das Budget für Arbeit ist ein weiterer Baustein bei der Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen, auch wenn aufgrund der Erfahrungen  anderer Bundesländer die Anzahl derjenigen, bei denen dies gelingt, eher im zweistelligen Bereich als deutlich darüber liegen dürfte. Bei der Gestaltung eines Budgets für Arbeit muss zudem darauf geachtet werden, dass nicht bloße Mitnahmeeffekte sondern wirkliche Beschäftigungseffekte erzielt werden können.

  5. Befürchtungen der Träger von Werkstätten, dass ein solches Budget zu strukturellen Problemen für ihre eigenen Einrichtungen führen könnte, sind wegen der quantitativen Dimension unbegründet. Im Gegenteil nehmen wir wahr, dass gerade die Werkstätten dem Instrument positiv gegenüberstehen, da es einem Teil der Beschäftigten der Werkstatt neue Perspektiven geben kann.

  6. Das Budget für Arbeit muss in jedem Fall ein freiwilliges Instrument sein. Niemand darf dazu gezwungen oder gegen seinen eigentlichen Willen dazu bewegt werden. Bei der Ausgestaltung des Budgets muss beachtet werden, dass es ebenso für die Gruppe der beruflich gering qualifizierten Menschen eine Perspektive bietet, wie für diejenigen, die über beruflich höhere Qualifikationen verfügen.

  7. Bei der Beratung über die Inanspruchnahme des Budgets für Arbeit muss die rentenrechtliche Situation berücksichtigt werden. Bei der Beschäftigung in einer Werkstatt  werden für die betroffenen Beschäftigten Rentenversicherungsbeiträge auf Grundlage von 80% eines Durchschnittseinkommens gezahlt und sie haben nach 20 Jahren Beschäftigung Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Hingegen richten sich bei einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Beitragshöhe und Renteneintritt nach den allgemeinen Vorschriften für alle Arbeitnehmer/innen. Während der Beschäftigung in einer Werkstatt müssen in der Regel zusätzlich zum Werkstattlohn Grundsicherungsleistungen in Anspruch genommen werden, während die relativ günstige Rente dafür sorgt, dass im Alter keine Grundsicherung mehr notwendig wird.

  8. Vor der Einführung eines  hessischen Budgets für Arbeit müssen folgende Punkte geklärt werden:
    • Für welchen Personenkreis kommt ein Budget für Arbeit in Betracht? Gibt es die Möglichkeit, auch andere Personen als aktuelle oder potentielle Werkstatt- MitarbeiterInnen zu fördern?
    • Können für das Budget für Arbeit neben Mitteln des überörtlichen Sozialhilfeträgers auch solche des Integrationsamtes aus Einnahmen der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden, wie dies in anderen Bundesländern der Fall ist? Wie hoch sollte der jeweilige Finanzierungsanteil ausfallen?
    • Wie hoch sollte ein regelmäßiger Lohnkostenzuschuss in Form eines Budgets für Arbeit ausfallen?
    • Wie kann im Falle eines Wechsels aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ein Rückkehrrecht sichergestellt werden und leben in diesem Falle die zuvor bereits erworbenen Anwartschaften für die EU-Rente zu „Werkstatt–Bedingungen“ wieder auf?   
    • Wie kann sichergestellt werden, dass es nicht zu einer Verdrängung von anderweitig geförderten Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen durch das Budget für Arbeit kommt?

  9. Die Bundesregierung hat sich für bessere Möglichkeiten zum Wechsel von der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausgesprochen und eine konkrete Prüfung eines Budgets für Arbeit angekündigt. Da ein erster Gesetzentwurf zur Reform der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen noch für dieses Jahr angekündigt ist, wird eine mögliche gesetzliche Neuregelung in die Ausgestaltung eines hessischen Budgets für Arbeit einbezogen werden.

  10. Die Wirkungen eines Budgets für Arbeit müssen evaluiert werden. Dies soll auch dazu beitragen, mögliche Verdrängungseffekte zu bemerken und ggf. abstellen zu können.

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