Förderung, Begleitung, Unterstützung: Wie der Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingen kann 19. Juli 202423. Juli 2024 Lukas Szardien bei der Arbeit im Elisabeth-Haus Lukas Szardien hat mit dem „Budget für Arbeit“ einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gefunden. Besser gesagt: eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die ihm Spaß macht und bei der er gutes Geld verdient. Dank eines hohen Lohnkostenzuschusses ist das Budget für Arbeit – eine Leistung aus der Eingliederungshilfe des LWV – auch für Arbeitgeber attraktiv. Doch damit beide Seiten zueinander finden, braucht es Wissen, Geduld und eine Portion Hartnäckigkeit – auch das zeigt die Geschichte des jungen Manns mit Autismus. Lukas Szardien kümmert sich um die Sauberkeit des Außengeländes Auf den ersten Blick scheint die Sache ganz einfach: Ein junger Mann, äußerst kommunikativ, höflich und gewissenhaft, arbeitet in einem Altenpflegeheim. Dort, so steht es in seinem Vertrag, übernimmt er „Helfertätigkeiten in den Bereichen Hauswirtschaft, Hausmeister und Textilreinigung“. Heute beispielsweise, an diesem sonnigen Tag im Mai, macht Lukas Szardien sich draußen zu schaffen: Er pickt Papierschnipsel und Kippen auf, er fegt und recht, und wenn jemand übers Gelände läuft, ruft er ihm oder ihr einen Gruß zu. Auf den zweiten Blick wird klar: Selbstverständlich ist das nicht. Denn der 24-Jährige ist Autist und hat eine Förderschule besucht. Für die allermeisten Förderschüler/innen aber führt der Weg direkt in eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, wo sie gut zwei Jahre lang den Berufsbildungsbereich besuchen – und dann ganz dort bleiben. Und das, obwohl sie Anspruch auf das „Budget für Arbeit“ haben (siehe Info-Kasten), das den Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern soll. Doch aktuell nutzen nur rund 182 Menschen mit Behinderung in Hessen diese vom Landeswohlfahrtsverband (LWV) bezahlte Leistung der Eingliederungshilfe, während mehr als 17 000 in den Werkstätten beschäftigt sind. Auch Lukas Szardien kennt die Werkstätten von innen, zwei Praktika hat er dort während seiner Schulzeit absolviert. „Die Praktika waren okay, aber es war halt klar, dass man nicht viel Geld verdient“, erzählt er, während er sein Salami-Brot auspackt. Mittagspause vor der Garage, in der Rasenmäher, Gartenschläuche und mehr lagern. Für das, was Lukas Szardien vorhat, braucht er Geld: Urlaub in Punta Cana, Dominikanische Republik. Deshalb hilft er einer älteren Dame ab und zu bei der Gartenarbeit. Und wenn er irgendwo eine leere Flasche herumliegen sieht, macht er sie zu Geld: 600 Euro hat er im vergangenen Jahr an Pfand eingesammelt. Und natürlich der Lohn: In der Werkstatt liegt der bei durchschnittlich ca. 220 Euro pro Monat, im Altenpflegeheim verdient Lukas Szardien mehr als das Siebenfache. Weil außerdem Lukas´ Mutter von Anfang an der Meinung war, dass Lukas fit genug ist für eine Arbeit außerhalb der Werkstatt, aber unsicher war, wie das anzugehen ist, nahm sie Kontakt zu einem Mann auf, dem die Paragraphen des Bundesteilhabegesetzes und des SGB IX vertraut sind, den Antragsformulare nicht einschüchtern und der, je nach Bedarf, sehr freundlich oder sehr bestimmt in ein Gespräch gehen kann. Jochen Rolle, Geschäftsführer InkA Wetterau Jochen Rolle heißt der Mann, er ist Geschäftsführer von InkA Wetterau (siehe Info-Kasten) und somit Kopf eines kleinen Teams, das junge Menschen mit Behinderung beim Übergang von der Schule in den Beruf ganz individuell (oder wie es im Fachjargon heißt: personenzentriert) begleitet. Seit der Gründung im Jahr 2017 hat InkA Wetterau 15 junge Frauen und Männer in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt. Aus Erfahrung sagt Rolle daher: „Das Budget für Arbeit ist ein sehr gutes Förderinstrument mit vielen Möglichkeiten wie Lohnkostenzuschuss und Unterstützung zur Arbeitsplatzsicherung. Aber: Es ist ein extrem bürokratischer und langwieriger Prozess, bis man es genehmigt bekommt. Das müsste alles viel einfacher sein.“ Es fängt damit an, dass Menschen mit Behinderung, die nicht in einer Werkstatt arbeiten möchten, sich selbst um einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt kümmern müssen. Leichter gesagt als getan, angesichts der Tatsache, dass die meisten Arbeitgeber weder um die Potenziale von Menschen mit Behinderung wissen noch von den finanziellen Zuschüssen über das Budget für Arbeit und über HePAS, dem „Hessischen Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen“. Lukas Szardin Dazu kommen die Anträge und Gutachten und das damit verbundene Ringen um Geld von verschiedenen Kostenträgern. Zumal jeder nur seinen „Kostentopf“ im Blick hat und darüber leicht verloren geht, dass – in der Gesamtrechnung – ein Platz in der Werkstatt für die Gesellschaft teurer ist als eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. „Viele Eltern sind damit komplett überfordert“, sagt Rolle. „Deshalb würde ich mir wünschen, dass formlose Anträge möglich wären und die Leistungen aus einer Hand kämen. Wenn man beispielsweise schreiben würde Ich beantrage das Budget für Arbeit, geht dann ein Sachbearbeiter mit dem jungen Menschen und seiner Familie durch den ganzen Prozess.“ Reha-Beratung, Agentur für Arbeit, arbeitspsychologischer und arbeitsmedizinischer Dienst, FSJ, Internationaler Bund, Job-Coach, LWV, Integrationsamt, Integrationsfachdienst: All diese Akteure waren im Spiel, seit Lukas Szardien mit seiner Mutter vor gut sechs Jahren erstmals bei InkA Wetterau war. Aber für ihn gab es über all die Jahre nur einen Ansprechpartner – InkA Wetterau. „Ich bin überzeugt, dass diese persönliche Begleitung und die Kontinuität in der Unterstützung und Begleitung die Erfolgsfaktoren unserer Arbeit sind“, sagt Rolle. Bevor Lukas Szardien mithilfe des „Budgets für Arbeit“ im Dezember 2022 die Stelle im Elisabeth-Haus in Bad Nauheim bekommen hat, lernte er seine Aufgaben durch ein Schulpraktikum und ein Freiwilliges Soziales Jahr kennen. Während seiner 27-monatigen beruflichen Bildung, die InkA Wetterau zusammen mit dem IB Südwest organisiert hat, wurde er von seinen Bildungsbegleitern weiter in die Tätigkeiten im Haus eingearbeitet. Lukas Szardin und Jochen Rolle (InkA) In null Komma nichts wusste der junge Mann die Namen sämtlicher Kolleginnen, Kollegen und Bewohner/innen; er findet sich mühelos in den unterirdischen Gängen des Altenpflegeheims zurecht; er weiß, wie viele Kästen Wasser auf jedes Stockwerk zu liefern sind und welches Waschmittel für welche Wäsche zu verwenden ist. Er hat gelernt, wie der Müll richtig zu trennen ist und wie man Handtücher so faltet und einräumt, dass sie nicht zerknautscht im Schrank liegen. Die Textilreinigung liegt ihm mehr als die Hauswirtschaft – aber am allerliebsten kämpft er gegen die Legionellen in den Wasserleitungen. Ausgerüstet mit Thermometer, Stift und Papier klopft Lukas Szardien an einer Tür im ersten Stock, wünscht einen schönen guten Tag, dreht im Bad Wasserhahn und Dusche voll auf und kontrolliert die Wassertemperatur. Fünf Minuten lang lässt er das heiße Wasser laufen, Zeit genug für ein Schwätzchen mit Frau Meier oder Herrn Müller, bevor er ins nächste Zimmer geht. „Lukas und die anderen jungen Menschen, die wir in Arbeit bringen, können Fachkräfte nicht ersetzen, aber entlasten“, stellt Jochen Rolle klar und präzisiert: „Lukas repariert nicht selbst den Rollstuhl, aber er kann für den Hausmeister die dritte wichtige Hand sein.“ Der junge Mann selbst ist hörbar stolz auf sich, und über seine Arbeit sagt er: „Ich habe hier nie Langeweile. Es gibt immer was zu tun – und so viele verschiedene Dinge.“ Lukas Szardien dokumentiert die gemessen Wassertemperaturen. Geht es darum, neue Aufgaben und Abläufe einzuüben, kann er sich auf seinen Job-Coach verlassen. Doch es müssen nicht nur die Handgriffe sitzen. Einen Urlaubsantrag stellen oder den Schichtplan verstehen: Auch das gehört zum Arbeitsleben dazu, doch allein bekommt Lukas Szardien das nicht hin. Ergänzend zum Job-Coaching gibt es daher die so genannte „Anleitung und Begleitung“, zu der regelmäßige Elterngespräche und die Sensibilisierung von (neuen) Kolleginnen und Kollegen gehören. Denn überall da, wo Menschen zusammen arbeiten, kommt es mal zu Konflikten und Missverständnissen – ein Mensch mit Autismus oder Down-Syndrom kann diese aber nicht durchblicken oder gar selbst lösen. „Wir haben es eben mit Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung zu tun, die dauerhaft Unterstützung brauchen“, sagt daher Rolle. Die Vorstellung, dass man sie nur in Arbeit bringen muss und es dann von alleine läuft, ist leider falsch.“ Er erinnert sich, wie eine junge Frau die freundlich gemeinte, aber saloppe Formulierung einer Kollegin als Beleidigung missverstand und von da an nicht mehr zur Arbeit wollte. „Das haben wir nur herausgefunden, weil wir die junge Frau schon lange kennen, sie uns vertraut und wir sie regelmäßig sehen! Aus all diesen Gründen muss die dauerhafte Arbeitsunterstützung selbstverständlich werden“, betont Rolle. Auch wenn der Stundenumfang – je nach Bedarf und Notwendigkeit – freilich variieren könne. Wenn Jochen Rolle in diesen Wochen im Elisabeth-Haus vorbeischaut, kommt Lukas Szardien jedes Mal mit einer Frage auf ihn zu: „Klappt das jetzt mit meinem Arbeitsvertrag?“ Denn zum Dezember 2024 soll – nach zwei Jahren im Job – über eine Entfristung des Arbeitsvertrages entschieden werden. Die Chancen dafür stehen gut! Budget für Arbeit und Förderung zur beruflichen Inklusion Das Budget für Arbeit (BfA) ist eine Leistung der Eingliederungshilfe, das 2018 im Zuge des Bundesteilhabegesetzes auch in Hessen eingeführt wurde. Das Budget für Arbeit muss beim Landeswohlfahrtsverband (LWV) beantragt werden. Mit dem Budget für Arbeit ist ein Lohnkostenzuschuss für den Arbeitgeber verbunden, der je nach Fähigkeiten des Menschen bis zu 75% betragen kann. Im Vorfeld einer solchen Eingliederungshilfeleistung ist zu prüfen, ob die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit einem Eingliederungszuschuss oder das LWV Hessen Integrationsamt mit einem Beschäftigungssicherungszuschuss zum Gelingen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ohne weitere Leistungen der Eingliederungshilfe beitragen kann. In Verbindung mit dem Budget für Arbeit kann zudem Unterstützung am Arbeitsplatz („Anleitung und Begleitung“) beantragt werden. Diese leistet – je nach Wunsch des Arbeitnehmers und/oder Arbeitgebers – der Integrationsfachdienst oder Dienste wie InkA. Wenn die Behinderung es erforderlich macht, finanziert der LWV Hessen außerdem einen Job-Coach für das „training on the job“. Sowohl das Job-Coaching als auch die Unterstützung am Arbeitsplatz werden letztlich vom LWV Hessen finanziert. Das LWV Hessen Integrationsamt kann aus dem „Hessischen Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen“ einen weiteren Zuschuss zahlen. So soll Menschen mit Behinderung der Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert werden. Der Arbeitsplatz muss sozialversicherungspflichtig sein. InkA Wetterau InkA Wetterau – kurz für Inklusive Arbeit Wetterau gGmbH – berät und begleitet junge Menschen mit Behinderung und ihre Eltern oder rechtlichen Betreuer auf dem Weg von der Schule in den Beruf und im Berufsalltag. Ziel ist einen passenden Arbeitsplatz jenseits der Werkstatt, also auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, zu finden. Die Beratung der (potenziellen) Arbeitgeber zu Beschäftigungs- und Fördermöglichkeiten ist deshalb ein wichtiger Teil der Arbeit, ebenso wie die Unterstützung der Betriebe bei der beruflichen Inklusion der jungen Menschen mit Behinderung. Die InkA Wetterau wurde 2017 gegründet und hat ihren Sitz in Bad Nauheim. Fünf Personen arbeiten dort in Teilzeit. Gesellschafter sind die Lebenshilfe Wetterau gGmbH und die Behindertenhilfe Wetteraukreis gGmbH. Ein Beitrag von Eva KellerFotos: © Willi Müller-Sieslak