Schutz vor Gewalt und sexuellem Missbrauch in den Einrichtungen der Behinderten­hilfe umsetzen

Rede Iris Bachmann

Sehr geehrter Herr Präsident Becker,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Zusammenbruch und Wiederaufbau“ war das Leitmotiv der Documenta 13, die vor wenigen Wochen endete. In diesem Jahr war erstmals auch das Ständehaus, in dem wir immer tagen, ein Ausstellungsort der Documenta. Und auch die Gedenkstätte Breitenau, an der wir exemplarisch das Thema Gewalt, Verfolgung und Missbrauch zu verschiedenen Zeiten und auf unterschiedlichen Ebenen betrachten können, war ein thematischer Ort dieser Documenta.

Durch die vor zwei Jahren erfolgte, längst überfällig Aufdeckung der erschütternd hohen Anzahl von Fällen von sexueller Gewalt in Schulen und Heimen, dokumentiert in der im Juli 2011 veröffentlichten Studie des Deutschen Jugendinstituts können wir davon ausgehen, dass es in den letzten 3 Jahren in 70 Prozent der befragen Heime Verdachtsfälle von sexueller Gewalt, in Internaten etwas 50 Prozent und in Schulen immer noch 40 Prozent waren.

Im November 2011 legte das Bundesfamilienministerium die Studie der Universität Bielefeld , durchgeführt in den Jahren 2009-2011 „Nein! zu Gewalt gegen Frauen mit Behinderung in Einrichtungen“ vor.

Aus ihr geht hervor, dass Frauen mit Behinderungen viel öfter in ihrem Leben Gewalt erfahren, als andere Frauen und Mädchen.

Und wir hier im LWV sollten mit Erschütterung zur Kenntnis nehmen, dass Frauen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben und arbeiten, in hohem Maße Gewalt ausgesetzt sind. Auch wir hier im LWV haben uns in der Bearbeitung dieses Themas in den letzten Jahren nicht eben mit Ruhm bekleckert.

Ich möchte Ihnen hier die wesentlichen Ergebnisse der Studie des BMFSFJ vortragen:

  • Frauen mit Behinderungen haben ein stark erhöhtes Risiko, Opfer von Gewalt zu werden: Mit 58 bis 75 Prozent haben fast doppelt so viele Frauen im Erwachsenenalter körperliche Gewalt erlebt als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (mit 35 Prozent)
  • Von sexueller Gewalt im Erwachsenenleben waren die Frauen der Befragung etwa zwei- bis dreimal häufiger betroffen als der weibliche Bevölkerungsdurchschnitt (21 bis 44 Prozent versus 13 Prozent)
  • Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend tragen maßgeblich zu späteren gesundheitlichen und psychischen Belastungen im Lebensverlauf bei: Sexuelle Übergriffe in Kindheit und Jugend durch Erwachsene gaben 20 bis 34 Prozent der befragten Frauen. Sie waren damit etwa zwei- bis dreimal häufiger davon betroffen als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt (zehn Prozent)
  • Psychische Gewalt und psychisch verletzende Handlungen in Kindheit und Jugend durch Eltern haben etwa 50 bis 60 Prozent der befragten Frauen erlebt (im Vergleich zu 36 Prozent der Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt)
  • Frauen in Einrichtungen der Behindertenhilfe waren mit einem Anteil von 56 Prozent die am stärksten belastete Gruppe.

Unsere Gesellschaft schaut gerne weg. Und es ist erschütternd festzustellen, dass sich die Fälle gerade in Einrichtungen häufen, die den Menschen mit Behinderungen eben aufgrund ihrer belasteten Lebensgeschichte einen besonderen Schutz geben sollten.

So fordert die Staatssekretärin im Hessischen Sozialministerium, Frau Müller-Klepper nun zwar etwas spät aber zu recht, dass die Gewalt-Schutzmaßnahmen für Menschen und vor allen Dingen Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, ausgebaut werden müssen und benennt als mögliche Maßnahmen:

  • Präventionskonzepte gegen sexuelle Gewalt mit den Einrichtungen entwickeln um den Schutz der Privat- und Intimsphäre zur erreichen
  • Orientierungshilfen zur Prävention, zum Umgang mit Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen, das bedeutet vor allen Dingen mehr Sensibilität des Fachpersonals, um Gewalthandlungen als solche zu erkennen
  • Musterdienstvereinbarungen entwickeln mit dem Hessischen Netzwerk Behinderter Frauen

Gesellschaftliche Rollenvorgaben und Geschlechtsstereotypen erschweren behinderten Frauen ein selbstbestimmtes Leben, denn behinderte Frauen werden in erster Linie als behindert wahrgenommen und nicht als Frauen mit ihren individuellen Eigenschaften.

Es ist an der Zeit, dass sich hier etwas zu ändern beginnt! Und wir sollten uns der Verpflichtung des Hessischen Landtags anschließen, solchen Informationen mit einer „Kultur des Hinschauens“ zu begegnen.

Es ist an der Zeit, dass wir hier von Seiten der Verbandsversammlung ein eindeutiges Signal an die Träger, an die Leistungserbringer geben um dadurch zu zeigen, dass wir alles in unserer Macht stehende unternehmen, dass Menschen mit Behinderungen, insbesondere Frauen, vor Gewalt und Missbrauch geschützt werden.

Deshalb wurde von der Koalition ein Antrag mit Drucksache XV/30 eingebracht, die in ihrem Beschlussvorschlag eine Reihe von Massnahmen enthält, die in die richtige Richtung zielen. Wir sollten alles in unserer Kraft stehende tun, um eine erhöhte Aufmerksamkeit, eine größtmögliche Sensibilisierung in dieser Frage zu erreichen.

Daher bitte ich die Mitglieder der Verbandsversammlung um Zustimmung zu unserem Antrag.

Iris Bachmann
Geschäftsführerin

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