Bündelung der Heilpäda­gogischen Einrichtungen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich tatsächlich lange darüber nachgedacht habe, wie ich diese Rede heute hier gestalten soll, da ich mit kaum einem Vorgang hier innerhalb des LWVs so eng persönlich verbunden bin wie mit dieser Vorlage zur Bündelung der Heilpädagogischen Einrichtungen der Vitos Gesellschaft. Viele mag es nicht überraschen, aber nicht alle wissen es.

Ich war einerseits am Überlegen, ob ich Ihnen den Anfang, die Lebenssituation derer schildern soll, die vor 30-40 Jahren in den sogenannten Oligophrenie-Bereichen der psychiatrischen Krankenhäuser des Landeswohlfahrtsverbandes, ca. 1500 Menschen waren das, unter sehr deprivierenden Lebensbedingungen vor sich hin vegetieren mussten. Menschen, die teilweise ein ganzes Jahr nicht aus der Station kamen, die kein persönliches Eigentum besaßen, in einem stupiden Tagesablauf ernährt, gewaschen und sediert wurden und von denen täglich ein Unterwerfungsakt verlangt wurde.

Oder alternativ überlegte ich, ob ich Ihnen von dem jungen, pädagogisch idealisierten, engagierten Sonder- und Heilpädagogen erzählen sollte, der sich bewusst dem Schicksal dieser Menschen annahm, weil dieses Schicksal so grauenvoll und fern unserer Vorstellungswelt einen Widerspruch darstellte zu den humanitären, christlichen und sozialen Idealen der Welt, in der wir aufgewachsen waren.

Sicher wäre es möglich, ein kurzweiliges Proseminar zu diesem Thema abzuhalten, aber dies ist leider nicht der Ort dafür. Das Wichtigste, was ich Ihnen sagten möchte ist, dass diese Menschen, die da lebten, verzweifelte Menschen, Menschen wie Du und ich waren – auch wenn sie schwerstmehrfachbehindert waren, nicht sprechen konnten, keine komplexen intellektuellen Anforderungen erfüllen konnten. Menschen, die sich sehnten nach Zuwendung, Zärtlichkeit, Anerkennung, Abwechslung. Es waren Menschen, die auch lernen, sich weiterentwickeln und selbständig werden wollten. Und es waren Menschen, die auch zärtlich sein konnten, kreativ waren, die sich gerne bewegten, gerne aßen, tranken, schliefen – sich wohlfühlen wollten. Und all dies, meine Damen und Herren, konnten sie in der Regel nicht. Es ist ja noch nicht lange her, dass wir hier eine wissenschaftliche Dokumentation und Aufarbeitung des Lebens der Heimkinder gesehen haben aus den Jugendhilfeeinrichtungen, die auch unter sehr schwierigen Lebensbedingungen in den Jugendheimen des LWVs betreut waren. Es wäre sicher genauso lohnenswert, sich mit der Situation der Psychiatriepatienten in den 60er und 70er Jahren auseinanderzusetzen. Aber, meine Damen und Herren, im Gegensatz zu den Jugendlichen, die mittlerweile erwachsen geworden sind, werden diese Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nicht in der Lage sein, sich zusammen zu schließen, sich zu organisieren, anzuklagen, auf sich aufmerksam zu machen.

Und ich dachte damals vor über 30 Jahren als LWV-Beschäftigter: Das kann doch nicht sein, dass das so bleibt. Es gab ja kaum jemanden, der daran Anstoß nahm. Dies war die wesentliche Ursache, warum ich 1985 Abgeordneter der Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes wurde, um genau diese Situation zu verändern. Über all die Jahre hat sich jetzt nun sicherlich viel getan.

Es wurden die Heilpädagogischen Einrichtungen gegründet, aber wenn man sich die Entwicklung der Heilpädagogischen Einrichtungen in dieser Zeit anschaut, glaubt man, es wäre doch viel mehr möglich gewesen. Ein vergleichender Blick zu den heilpädagogischen Heimen des Landschaftsverbandes Rheinland macht deutlich: dort leben fast 50 Prozent der Klienten im Betreuten Wohnen und die Hilfen selbst sind viel stärker ausdifferenziert als hier im Lande Hessen. Die Entwicklung stagnierte tendenziell all die Jahre, da die Heilpädagogischen Einrichtungen sozusagen unter dem großen Dach der psychiatrischen Krankenhäuser eher eine sekundäre Rolle spielten, sowohl im strategischen Selbstverständnis von Vitos, als auch in dem individuellen der einzelnen Vitos GmbHs.

Eine Bündelung, eine Zusammenführung bietet eine Menge an Perspektiven zur inhaltlichen Weiterentwicklung, zur betriebswirtschaftlichen besseren Ausrichtung der Heilpädagogischen Einrichtungen. Entscheidend dürfte dabei sein, dass diese neue GmbH echte Entwicklungsperspektiven bietet für die Klienten sowie gleichermaßen für die Beschäftigten.

Die dargestellte systematisierte Form des Übergangs mit den vielen Arbeitsgruppen macht deutlich, dass hier ein breit angelegter Prozess in Gang gesetzt werden konnte. Das uns vorliegende Material ist sicher eher pragmatisch betriebswirtschaftlich aufgebaut und macht das, was ich eben versucht habe mit einigen Worten darzustellen, nicht deutlich. D. h. der Moment, herauszuarbeiten, wie sich individuelle Lebenssituationen der dort betreuten Klienten weiterentwickeln können, welche neuen Hilfeformen im Sinne eines individualisierten Ansatzes entwickelt werden können, welche Perspektive für die Arbeitsplätze der Mitarbeiter hier angelegt fehlt. Dies wird eine der Herausforderungen sein, die nicht in den nächsten Jahren, sondern in den nächsten Monaten unbedingt angegangen werden müssen, damit die Mitarbeiter mit Begeisterung diesen Prozess mittragen und vorhandenen Ängsten entgegengewirkt werden kann.

Aber, meine Damen und Herren, wir werden die Heilpädagogischen Einrichtungen nicht einfach jetzt sich selbst überlassen können, sondern sie brauchen unsere Unterstützung, sie brauchen die Möglichkeit, sich als Fachsortiment innerhalb des großen Spektrums der Träger der Behindertenhilfe zu positionieren und ich würde anregen, dass wir regelmäßig einen Blick darauf werfen, wie die Entwicklung in den Heilpädagogischen Einrichtungen verläuft. Dazu gehört, dass wir ein Instrumentarium entwickeln, ich nenne es mal „Inklusionsbarometer“, in dem wir aus der Politik zusammen mit den Fachleuten aus den Heilpädagogischen Einrichtungen Ziele definieren – welche in Richtung Inklusion ausgerichtet sind und dazu Wege beschreiben, die dort hinführen und regelmäßig schauen, wie weit nun dieser Prozess vorangeschritten ist. Ich glaube, das wäre eine sehr positive Form der Unterstützung und wenn wir da regelmäßig ein Feedback bekämen, wären wir aus Sicht der Politik der Autonomiengebundenheit sehr nahe gekommen.

Wir bitten Sie, dem Antrag zuzustimmen und versprechen eine konstruktive Begleitung dieses Prozesses für die Zukunft.

Michael Thiele
Fraktionsvorsitzender

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