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Nah am Menschen und wirtschaftlich vernünftig

Darmstädter Erklärung zum Ende der Koalition im Landeswohlfahrtsverband in Hessen

Der Bruch der Koalition im LWV mit bisher SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und Freien Wählern wird mit inhaltlichen Kontroversen begründet. Entgegen den Vorwürfen haben die Grünen umfassende Pläne zur Konsolidierung und zur Vereinfachung und Verbesserung von Verfahren zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes gemacht. Die eigentlichen Gründe scheinen eher mit Machtstrategien der SPD zu tun zu haben, über deren Ziel nach der Bildung einer „christlich-sozialen“ Koalition aus CDU und SPD auf Landesebene weiter spekuliert werden kann.

Die von grüner Seite des Verwaltungsausschusses gemachten Vorschläge zur Konsolidierung, von denen schon eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet wurden, beinhalten ein direktes Einsparvolumen von über 32 Millionen Euro pro Jahr. Indirekte Einsparungen, die auf verbesserten Prozessen beruhen und auch erst sukzessive greifen, würden mindestens nochmals das Doppelte der Summe ausmachen. 

  1. Schon eingeleitet und in der Umsetzung ist, dass die Verfahren zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes insbesondere zur Feststellung des Hilfebedarfes durch den Personenzentrierten integrativen Teilhabeplan (PiT) und die Abrechnung der Leistungen mit den Leistungserbringern verbessert wird. Damit sind schon in 2025 und verstärkt in 2026 Einsparungen verbunden, da der Aufwand zur Bearbeitung sinkt. Aktuell ist eine Erhöhung der Anzahl der zu bearbeitenden Hilfepläne von durchschnittlich 3 pro Woche auf 3,2 pro Woche für 2025 eingeplant worden, was 6 Vollzeitäquivalente pro Jahr weniger notwendig macht. In 2026 ist eine weitere Erhöhung auf mindestens 4 pro Woche realistisch, was weitere Einsparungen von mindestens 24 Vollzeitäquivalenten bringen wird. Dies bedeutet ein gesamtes Einsparvolumen gesamt von mindestens 2 Mio. Euro jährlich, wenn nur die Arbeitgeberpersonalkosten betrachtet werden.
  2. Durch die in Gesprächen mit Leistungserbringern erfolgende Überprüfung von Leistungsmengen, Personaleinsätzen und die Nicht- oder Teilweitergabe des Tarifs mit hohen Stundensätzen sind in 2025 rund 13 Mio. Euro Einsparungen erwartbar. In 2026 ist mit weiteren Verbesserungen zu rechnen, die sich auf mindestens 16 Mio. Euro erhöhen.
  3. Durch ein optimiertes Verfahren bei Neuanträgen, welches auch für die Leistungserbringer schneller Klarheit schafft, ob Hilfen bewilligt werden, lassen sich 15 Mio. Euro in 2025 einsparen. Die Umsetzung ist ab 01.03.2025 geplant.
  4. Schon beschlossen ist eine Einsparung von rund 600.000 Euro durch die Fixierung des Fahrtkostentarifs, der für Fahrten von Menschen mit Behinderungen, die durch Leistungserbringer erbracht werden, gezahlt wird.
  5. Indem nur die tatsächlichen Miet- und Kostensteigerungen bei den Leistungserbringern anerkannt werden, sind weitere 270.000 Euro Reduktion zu erwarten.
  6. Zur Vereinfachung der Leistungsabrechnung sind auch Pauschalen für bestimmte Leistungsarten angedacht, wie z.B. Tagesanlaufstätten für psychisch kranke Menschen. Damit wird die Abrechnung einfacher und es sind teilweise auch Einsparungen erwartbar, da in Hilfeplänen festgelegte Besuchszeiten erfahrungsgemäß unterschritten werden.

Die in die Diskussion eingebrachten Vorschläge von SPD und FDP erbringen kaum direkte und teilweise gar keine realen Einsparungen.

  1. Von Seiten der SPD wurde ins Spiel gebracht, die Regionalverwaltungen des LWV in Darmstadt und Wiesbaden zu schließen.  Geplantes Einsparpotential: 700.000 EUR Sachkosten. Dass dies frühestens in einigen Jahren überhaupt greifen könnte, wird nicht reflektiert.
  2. Einstellen des Angebots „LWV vor Ort“, was geschaffen wurde, um Menschen mit Behinderung eine Beratung des LWV auch in den Städten und Landkreisen außerhalb der drei Verwaltungsstellen des LWV zu ermöglichen.
  3. Kleinere Einsparvorschläge sehen z.B. die Streichung eines jährlichen Ausflugs für Pensionäre des LWV von 1.600 Euro oder den Verzicht auf Stellenausschreibungen in Zeitungen vor. 
  4. Ein ganz wesentlicher Hebel zur Reduzierung der Kosten der Eingliederungshilfe wird nur unter dem Begriff Einstellungsoffensive erwähnt: Auf dem Konto des Integrationsamtes sind über 130 Mio. Euro, die zur besseren Integration in Arbeit von Menschen mit Behinderung eingesetzt werden könnten. Wenn durch neue Programme in diesem Jahr nur 100 und im nächsten Jahr nur 200 Menschen mit Handikap künftig durch eigene Arbeit einen größeren Teil ihres Lebensunterhaltes selbst decken können, wären das schätzungsweise 1,2 Mio. Euro bzw. 2,4 Mio. Euro jährlich, die der LWV an Eingliederungsleistung einsparen könnte.
  5. Von FDP-Seite wird vorgeschlagen, die Haushaltsansätze im Bereich der Schülerbeförderung zu reduzieren, wobei das Ergebnis des Vorjahres niedriger ist, als der neue Ansatz liegt. Es handelt sich hier also nicht um eine Einsparung, sondern nur um eine Anpassung des Planwertes an den voraussichtlichen Ist-Wert.
  6. Das Gegenteil eines Konsolidierungsvorschlags von 280.000 Euro der FDP ist die Streichung der Personalkosten für die baufachlichen Prüfungen. Damit werden Kostenangaben von Leistungserbringern beurteilt. In der Vergangenheit wurden hier regelmäßig Millionenbeträge in Frage gestellt, die künftig offenbar unkritisch den Leistungserbringern überlassen bleiben sollen. 

Auch die Kritik am Umgang des LWV mit den Leistungserbringern stellt sich bei genauerer Betrachtung als inszeniert und wenig an den Konsolidierungsnotwendigkeiten orientiert heraus.

Es ist festzustellen, dass alle Verfahren zur Beauftragung und Abrechnung von Leistungen der Leistungserbringer (wie z.B. Arbeit in Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder betreutes Wohnen) bis Dezember 2024 einvernehmlich vom hauptamtlichen Verwaltungsausschuss getragen wurden.
Jetzt die grüne Seite im Verwaltungsausschuss für die gemeinsam entwickelten Verfahren zu kritisieren ist unlauter.

Auch die vorgetragene Kritik einzelner Leistungserbringer wird von Seiten der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, die ein Zusammenschluss der meisten Leistungserbringer ist, nicht vollständig geteilt. Zudem konnte durch Gespräche mit einzelnen Leitungserbringern dargelegt werden, warum die getroffenen Maßnahmen notwendig waren und auch schon im Dezember vorgenommene Kürzungen gerechtfertigt sind.

„Nah am Menschen und wirtschaftlich vernünftig“ ist das Ziel der grünen Eingliederungshilfe. Die Ankündigungen der ehemaligen Koalitionspartner lassen erwarten, dass die Errungenschaften einer nah am Bedarf des einzelnen Menschen orientierte Hilfe künftig nicht mehr weiterverfolgt wird. Der sicherlich holprige Weg hin zu einer personenzentrierten Hilfe, wie es im BTHG auch gesetzlich festgelegt wurde, soll wohl der Vergangenheit angehören. Die Restkoalition, die eine Mehrheit im LWV wohl mit Hilfe der CDU finden wird, scheint kein durchdachtes Konzept zu haben, wie eine nah am Menschen ausgerichtete Eingliederungshilfe mit den finanziellen Herausforderungen des Verbandes zusammengebracht werden kann.

Der LWV ist, das zeigt sich im bundesweiten Vergleich, ein wirtschaftlich arbeitender Leistungsträger. Die Wirtschaftlichkeit im Gesamtsystem kann noch besser werden, dazu haben die Grünen in der Verantwortung Maßnahmen eingeleitet und Planungen vorgelegt. Die Vorschläge der ehemaligen Partner sind dagegen unklar. Als Reaktion auf die Kritik an steigenden Kosten in der Eingliederungshilfe aus den Reihen der kommunalen Träger des LWV reicht nicht der laute Ruf nach Einsparungen und der Rauswurf des angeblichen hinderlichen Koalitionspartners. Es braucht vernünftige Antworten, die den gesetzlichen Rahmen beachten, die Kosten auf Seiten der Leistungserbringer sowie das Thema Fachkräftemangel im Blick haben und zugleich eine auf Selbstbestimmung und nah am Menschen orientierte Eingliederungshilfe.

Zum Verständnis

Der Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) ist Leistungsträger der Eingliederungshilfe in Hessen. Erwachsene Menschen mit Behinderung haben rechtliche Ansprüche auf Hilfen, wenn diese auf der Grundlage der gesetzlichen Regelungen anerkannt werden. Dies macht mehr als 95% der Ausgaben von rund 1,9 Mrd. Euro aus, die jährlich dafür in Hessen entstehen. Zuständig für diese Ansprüche ist vor allem der Bundesgesetzgeber und in der Ausführung der Landesgesetzgeber.

Das für die Eingliederungshilfe wesentliche Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht eine Personenzentrierung der Hilfen für Menschen mit Behinderungen vor. Der LWV ist bundesweit der Träger der Eingliederungshilfe der mit der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben am weitesten vorangeschritten ist. Das BTGH wurde verabschiedet mit der Aussicht auf eine Effizienzrendite, die sich aus einer passgenaueren Steuerung der Hilfen ergeben soll. Der Bundesgesetzgeber hat allerdings nicht mit den bundesweit steigenden Fallzahlen gerechnet, die sich aus den im Gesetz formulierten Ansprüchen ergeben.

Die Verwaltung des LWV wird vom hauptamtlichen Verwaltungsausschuss gesteuert. Diesem gehören an: die Landesdirektorin Susanne Simmler (SPD), die Erste Beigeordnete Ulrike Gote (Grüne) und der Beigeordnete Dieter Schütz (FDP).

Leistungsberechtige sind aktuell rund 63.000 erwachsene Menschen mit Behinderungen in Hessen.

Leistungserbringer für die Hilfen bzw. Leistungen der Eingliederungshilfe sind z.B. Anbieter des Betreuten Wohnens, von Werkstätten mit Behinderung oder von Assistenzleistungen. Anbieter sind sehr oft in Wohlfahrtsverbänden organisiert aber auch teilweise als private Unternehmen aktiv.