Von den Niederlanden lernen, wie Menschen mit Behinderung mehr Chancen auf bezahlte Arbeit (auf Integration in den Arbeitsmarkt) haben.

Große Gruppe von Menschen zeigen sich vor einem Gebäude
Die Koalitionsfraktionen der Verbandsversammlung des LWV-Hessen – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und FW – besuchen die Region Eindhoven in der niederländischen Provinz Noord-Brabant,

Ergebnisse einer Studienfahrt der Koalition im LWV

Vom 24.10 bis 27.10. besuchten die Koalitionsfraktionen der Verbandsversammlung des LWV-Hessen – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und FW – die Region Eindhoven in der niederländischen Provinz Noord-Brabant, um dort Erkenntnisse über den Umgang mit Menschen mit Behinderungen bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu gewinnen.

Drei niederländische Praktiken könnten mit Modifikationen für bessere Integrationschancen von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt auch für uns in Hessen interessant sein:

  • die individuelle Anerkennung der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen über eine sogenannte Lohnwertfeststellung und die dabei auch geleistete Fokussierung auf die Kompetenzen,
  • die starke Ausrichtung der Beschäftigungsfirmen bzw. Werkstätten zur Befähigung und Vermittlung auch von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt,
  • die intensive lokal organisierte Ansprache und Beratung von Arbeitgebern, wie die Integration auch durch eine Umorganisation von Arbeit gelingen kann.

Die individuelle Anerkennung der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Einschränkungen erfolgt über eine Feststellung der Arbeitsfähigkeit. Damit wird im Gegensatz zu unserem System nicht festgestellt, was jemand nicht kann, es gibt übrigens auch keine Feststellung des Grades der Behinderung, sondern wieviel Leistung sie oder er erbringt. Dies schafft eine andere Wertschätzung und Sicht auf die Potentiale von Menschen mit Behinderung. Außerdem wird damit auch die Relevanz von Menschen mit Behinderungen für die Deckung des wachsenden Bedarfes an Arbeitskräften herausgestellt. Vorgestellt wurde uns die Methodik von demjenigen, der diese seit 2002 maßgeblich unter dem Begriff Lohnwertmessung entwickelt hat: unserem Referenten Raymond Laemen.

Hintergrund war ein damals statisch festgelegter 80%-iger Integrationszuschuss an Arbeitgeber. Durch die methodisch qualifizierte Lohnwertmessung konnte genauer definiert werden, wie hoch der Zuschuss sein muss. Nach Weiterentwicklung der Methode wurde diese seit dem Jahr 2015 durch das Participatiewet (Gesetz zur Teilhabe im Arbeitsleben) gesetzlich vorgeschrieben. Darin ist auch das zertifizierte Verfahren und die Speicherung der Daten in einer zentralen Datenbank festgelegt (die Frage des Datenschutzes scheint in den Niederlanden weniger brisant zu sein als bei uns). Mit dem Gesetz verbunden war zudem eine Vereinbarung, dass private Arbeitgeber bis zum Jahr 2026 125.000 Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen einstellen.

5 Personen in eiern Fabrikhalle mit Schutzmänteln.
Die Koalitionäre besuchen die Firma Ergon …
Fabrikhalle in der Wäsche sortiert und zusammengelegt wird.
… in der Wäsche sortiert und zusammengelegt wird.

Die stark am ersten Arbeitsmarkt ausgerichtete Ausrichtung der Beschäftigungsfirmen bzw. Werkstätten konnten wir bei den Firmen Ergon und Senzer kennenlernen. Diese sind in der Ausbildung, Beschäftigung, Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitskräften mit Einschränkungen tätig und unterhalten unseren Werkstätten oder Beschäftigungsgesellschaften ähnliche Angebote. Besonders ist die darüber hinaus große Palette von Maßnahmen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Die intensive lokal organisierte Ansprache und Beratung von Arbeitgebern wird sowohl über die Kommune als auch über die Arbeits- und Vermittlungsfirmen verfolgt. Dabei bieten diese auch besondere Beratungsangebote für Arbeitgeber hinsichtlich der Umstrukturierung von Arbeitsabläufen an, um Fachkräfte wirkungsvoll einzusetzen und einfachere Tätigkeiten durch dafür qualifizierte Mitarbeiter zu erledigen. Bestechend dabei: Der Bedarf an Fachkräften ist hoch! Indem komplexere von einfacheren Arbeiten differenziert werden, wird dem Fachkräftemangel entgegengewirkt und Menschen mit Einschränkungen erhalten so Chancen für eine Beschäftigung.

Personen in einer Fahrzeughalle
Die Firma Senzer stellt …
Bildschirm mit Präsentation
… ihre Angebote für Arbeitskräfte mit Einschränkungen vor.

Nicht einfach übertragbar sind einige regulative Bedingungen, die bei der Weiterentwicklung der Gesetzgebung auf Bundes- und Landesebene in Deutschland anregend sind. Dazu zählt z.B., dass in den Niederlanden eine Bündelung der Kompetenzen vorgenommen wurde. Aufgrund der Traditionen haben die Kommunen eine Schlüsselrolle bei der Integration in Arbeit.  Die niederländischen Kommunen (342 Kommunen, organisiert in der VNG Vereinigung niederländischer Gemeinden) sind nach dem Participatiewet dafür zuständig, den Menschen, die nicht eigenständig fähig sind, den Mindestlohn zu verdienen, Unterstützung anzubieten. Hierzu gehören neben Menschen mit Behinderungen auch andere Personenkreise, z.B. Menschen, die aus dem Strafvollzug entlassen sind, alleinerziehende Personen, Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Personen dem dortigen Arbeitsmarkt näher zu bringen, wird in der Region rund um Eindhoven in vielen Einzelfällen dadurch erreicht, dass dortige Arbeitgeber die Menschen, denen die Nähe zum Arbeitsmarkt fehlt, regulär beschäftigen und dadurch bis zu 70% der Lohnkosten erstattet bekommen (können).

Zuhörer die applaudieren.
Die VNG Vereinigung niederländischer Gemeinden stellt ihre Arbeit vor.
Die Koalitionäre sitzen in einem Restaurant
Das Restaurant De Keyzer, ein Ausbildungsunternehmen für arbeitsmarktferne Menschen.

Die Arbeitsleistung der leistungsberechtigten Menschen wird im Auftrag der Kommunen durch Fachkräfte mit einem zertifizierten Verfahren gemessen, um die Höhe des möglichen Zuschusses festzulegen. Bei unseren Besuchen in Betrieben konnten wir feststellen, dass viele Menschen auch einem Personenkreis zugehörig sind, für die in Hessen der LWV zuständig ist. Sowohl die leistungsberechtigten Menschen als auch die Arbeitgeber haben Anspruch auf Unterstützung, für den Fall, dass es am Arbeitsplatz Schwierigkeiten geben oder sich die Arbeitsleistung der Beschäftigten verändern sollte. Die Kosten hierfür werden ebenfalls von den Kommunen übernommen und es ist sichergestellt, dass solche Überprüfungen in kurzer Frist durchgeführt werden. 

Vorteile der Lohnwertfeststellung – am Beispiel der Fa. Dariuz

Das Beratungsunternehmen Dariuz, das uns vorgestellt wurde, legt im Rahmen der Lohnwertfeststellung auch viel Wert auf die Kompetenzfeststellung. Dabei werden 10 Kompetenzen untersucht:

  • Grundkompetenzen (Anweisungen folgen, Richtlinien einhalten, Umgang mit anderen)
  • im Hinblick auf Arbeitsleistung wichtige Kompetenzen (Arbeitstempo, Lernfähigkeit, Selbständigkeit,  Genauigkeit)
  • außerdem Durchhaltevermögen, Umgang mit Stress, Kommunikation.

Dariuz bietet hierzu Tools an, die u.a. auch KI einsetzen. Es umfasst Wegweiser, Assessment, Lohnwertmessung und Schulungsprogramme sowie Fragebögen. Kommunen beauftragen z.B. das Assessment, ggf. auch unterjährig und auch mehrfach. Die Wartezeit bei einer Nachbeurteilung z.B. bei psychisch kranken Menschen beträgt ca. 1 Monat.

Sowohl die Lohnwertmessung als auch die Kompetenzorientierung könnten im Rahmen von Pilotvorhaben auch in Hessen einsetzbar sein. Dabei gilt es zu prüfen, ob Finanzmittel aus der Ausgleichsabgabe über das Integrationsamt genutzt werden können.       

Zu empfehlen ist auch ein Kennenlernen der Tools für das Fallmanagement des LWV. Dariuz bietet hierzu auch in Deutschland eine Beratung an (Kontakt Frau Trienes-Wedekind).

Personen vor einer Präsentation
Das Beratungsunternehmen Dariuz legt im Rahmen…
Bildschirm auf dem eine Präsentation zu sehen ist.
… der Lohnwertfeststellung auch viel Wert auf die Kompetenzfeststellung.

Ein Beitrag von
Karsten McGovern und Andreas Köhler

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