Rede anlässlich des Besuches von MP Volker Bouffier in der Gedenkstätte in Hadamar am 13. September 2019

Rede von Michael Thiele 13. September 2019

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bouffier,
liebe Susanne Selbert,
lieber Andreas Jürgens,
sehr geehrter Herr Schütz,
liebe Frau Müller-Erichsen,
geehrte Mitglieder des Landtages, des Verwaltungsausschusses
sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Hahn, Herr Ruoff,
sehr geehrter Herr Dr. Schulte,
liebe Kolleginnen und Kollegen von Vitos und dem LWV,
meine Damen und Herren,
Auch von mir ein herzliches Dankeschön, dass Sie alle unserer Einladung gefolgt sind, ein besonderer Dank geht selbstverständlich an Herrn Bouffier. Wir freuen uns sehr, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, die Gedenkstätte besuchen.
Sie werden sich heute die Gedenkstätte anschauen und über die Neukonzeption informieren lassen. Hier liegen, ohne Zweifel, große Herausforderungen vor uns.

Die Generation der Zeitzeugen stirbt aus. Wir können bald niemanden mehr fragen, wie es damals war, oder wie es dazu kommen konnte. So wie wir noch unsere Eltern und Großeltern befragen konnten.

Junge Menschen informieren sich heute anders über das Geschehen in der Welt. In erster Linie über das Internet. Hier ist die geschichtliche Wahrheit häufig eine relative und konkurriert mit dubiosen Seiten, bis hin zu kruden Verschwörungstheorien. Eine moderne Gedenkkultur muss sich aktiv gegen diese Art der Fehlinformationen stellen.

Und das ist nötiger denn je, denn unsere Werte, unsere Demokratie, unsere Freiheit wird von allzu vielen in diesem Land als normal und selbstverständlich gegeben, wahrgenommen.

Man hat nicht mehr vor Augen, dass es dem Engagement vieler bedurfte, diese Demokratie wehrhaft und stark zu machen.

Allein, wer sich das rasante Schwinden der gesellschaftlichen Ordnung und der Menschlichkeit in der Nazizeit vor Augen führt, wird diese Werte nie wieder gering schätzen!

Und für meinen Geschmack hat der Anstieg des populistischen Rechtsradikalismus in diesem Land bereits beängstigende Ausmaße angenommen!

Die vielen Menschen, die hier und in den anderen Vorgängereinrichtungen von Vitos ermordet wurden, verpflichten uns zur Erinnerung und zu der Frage:

Warum tut der Mensch anderen Menschen so etwas Schreckliches an?  Welche Mechanismen in Gesellschaft und Politik führen dazu? Und wie können wir dem aktiv begegnen?

Gerade an diesem Platz, hier in Hadamar, in der die Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten 1941 ihren Anfang nahm und unschuldige Menschen – Männer, Frauen und Kinder – aus fadenscheinigen Gründen gefoltert und ermordet wurden, wird uns das ganze Ausmaß dieser Verbrechen „gegen die Menschlichkeit“ deutlich.

Ein paar Jahre später war dann das Tausendjährige Reich am Ende, ganz Europa lag in Trümmern und mehr als 65 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Die Menschen spüren auch in den nachfolgenden Generationen, bis heute, die Folgen dieser Verbrecher.

Und es ist nunmehr 34 Jahre her, dass ich als junger Abgeordneter in der Verbandsversammlung des LWV Hessen die Beschlüsse fassen konnte, die zur Finanzierung des Aufbaus einer Ausstellung hier in Hadamar führte.

Dazu muss man wissen, dass erst Ende der 70er Jahre Gießener Studenten begonnen hatten in den Kellerräumen der Mord-Einrichtung erste Schautafeln aufzustellen und auf die Gräueltaten und Verbrechen hinzuweisen.

Aber wie so oft in dieser Zeit, entstand aus diesem Engagement nur sehr langsam eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Es gibt Parallelen, sie spiegeln sich in der Geschichte des Umgangs mit den Menschen mit Behinderungen in der Zeit nach 45.
Moderne personenzentrierte Konzepte waren auch noch Mitte der 80er Jahre eher Mangelware. Erst die Psychiatrie-Enquete des Bundestages und 1985 – ein Beschluss der LWV Verbandsversammlung – führten dazu, diese Menschen aus der Psychiatrie auszugliedern und in den sogenannten „Heilpädagogischen Einrichtungen“ unterzubringen. Damit war der Beginn einer angemessenen Betreuung gelegt, aber noch lange nicht vollzogen.

Denn es musste an der Entwicklung eines angemessenen Menschenbildes nicht nur in der sozialen Arbeit, sondern so eben auch an dem Verständnis in der Mitte der Gesellschaft gearbeitet werden.

In dem Gedenken und Erinnern an die Morde der Nationalsozialisten rücken wir die Opfer in den Mittelpunkt!

In der Hilfe für Menschen mit Behinderungen rücken wir den Mensch in den Mittelpunkt!

In dem „personenzentrierten Ansatz“ vollziehen wir dieses Menschenbild in der praktischen Arbeit der Behindertenhilfe!

Nichts passiert in einem abstrakten Raum, sondern gesellschaftliche Entwicklungen gehen uns alle an!

„Das Denken an vergangene Angelegenheiten“ schrieb Hannah Arendt einmal „…bedeutet für menschliche Wesen, sich in die Dimension der Tiefe zu begeben, – Wurzeln zu schlagen – und so sich selbst zu stabilisieren, – so dass man nicht bei allem Möglichen – dem Zeitgeist, – der Geschichte – oder einfach der Versuchung – hinweggeschwemmt wird!“

Man könnte auch sagen, Erinnerung als das Fundament unserer Demokratie führt zur Stabilisierung derselben!

Die Frage, welches Menschenbild wir bei unserer gesellschaftlichen Debatten zugrunde legen, ist evident. Diversität, die Vielfalt der menschlichen Existenzen zu leben, zu achten und manchmal auch zu ertragen, ist die Herausforderung unserer Zeit.

Und da sage ich deutlich, das muss nicht allen gefallen, ist aber eine Grundlage unserer Demokratie. Und in der Konsequenz alternativlos.

Meine Damen und Herren, mögen wir alle unsere Demokratie sowie die Inklusion als stabil erachten, sie ist nicht unverwundbar!
Mögen wir alle über Vielfalt und Toleranz in dieser Gesellschaft reden, sie ist nicht selbstverständlich!

Gerät aber genau diese Balance des Zusammenlebens aus den Fugen, wird neues Unrecht in den Ausmaßen von Hadamar wieder vorstellbar.

Genau deshalb sind wir heute auch hier! Somit ist Hadamar ein Lernort für Demokratie und Inklusion zugleich!

Vielen Dank!

Michael Thiele
Fraktionsvorsitzender

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