Auswirkungen des Bundesteil­habegesetzes (BTHG) auf die Kommunale Ebene

Mit diesem Schreiben wollen wir die hessischen Grünen Kreistagsfraktionen und Stadtverordneten­versammlungen über aktuelle Entwicklungen zum Bundesteilhabegesetz und deren Auswirkungen informieren.

Mit diesem Schreiben wollen wir die hessischen Grünen Kreistagsfraktionen und Stadtverordnetenversammlungen über aktuelle Entwicklungen zum Bundesteilhabegesetz und deren Auswirkungen informieren. Uns erreichen immer wieder einzelne Fragen und wir hoffen mit diesem Schreiben einen Großteil davon beantworten zu können. Natürlich sind auch die Abgeordneten der Verbandsversammlung und der Erste Beigeordnete Dr. Andreas Jürgens für Euch in allen Fragen ansprechbar.

Mit der Einführung des BTHG soll eine stärkere Fokussierung zu einem personenzentrierten Hilfeansatz ermöglicht werden. Die Bedarfsermittlung orientiert sich zukünftig an der Überwindung individueller Barrieren hin zu einem inklusiven Leben in der Mitte des Sozialraumes.

Veränderungen ab 1. Januar 2020:

    •    Für alle Menschen mit Behinderungen ist ab Beendigung der Schulausbildung der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen sachlich zuständig. Den Landkreisen und kreisfreien Städten obliegt ab 2020 die Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche bis zur Beendigung der Schulausbildung. Bis zum 31. Dezember 2019 erfolgt die Aufgabenteilung wie bislang im Wesentlichen nach „ambulant“ und „stationär“. Die Landkreise und kreisfreien Städte sind für die ambulanten, der LWV für die stationären und teilstationären Hilfen sowie das betreute Wohnen zuständig.

    •    Für Personen die erstmalig Eingliederungshilfe nach Eintritt ins Rentenalter erhalten, sind künftig die Kreise und kreisfreien Städte zuständig.

    •    Wenn gleichzeitig neben der Eingliederungshilfe ein Anspruch auf ambulante Hilfe zur Pflege besteht, wird diese Leistung ab 2020 ebenfalls vom sachlich zuständigen Träger der Eingliederungshilfe erbracht. Die Hilfe zur Pflege „folgt“ damit der Eingliederungshilfe. Bislang war der LWV Hessen zuständig für alle Einzelfälle im Rahmen der Hilfe zur Pflege, die in Wohn- und Pflegeheimen stationär und teilstationär bis zum Erreichen des 65. Lebensjahrs erbracht wurden. Diese Zuständigkeit geht künftig auf die Kreise und kreisfreien Städte über.

    •    Die existenzsichernden Leistungen (bspw. Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung) werden grundsätzlich durch die Landkreise und kreisfreien Städte erbracht. Es ist eine Vorgabe des BTHG, Fachleistungen und existenzsichernde Leistungen zu trennen.

    •    Der LWV Hessen wird wie bisher die Leistungen nach § 67 SGB XII (Hilfen in besonderen Schwierigkeiten, bspw. Hilfen für Wohnungslose und für Haftentlassene) finanzieren. Die Bearbeitung der Einzelfälle erfolgt bislang im Auftrag des LWV durch die Landkreise und kreisfreien Städte. Ab 1. Januar 2020 wird der LWV die Bearbeitung selbst und somit mit eigenem Personal durchführen.

Mit dem BTHG verbunden ist ein neues Gesamtplanverfahren, dass durch die Städte, Landkreise und den LWV durchzuführen ist und bei allen zu neuem Personalbedarf führt. Der LWV führt dieses Verfahren stufenweise ein (1. Stufe seit April 2018, letzte Stufe April 2021).

Die oben beschriebenen Veränderungen führen dazu, dass der LWV ca. 4000 Fälle der Eingliederungshilfe an die Kommunen abgibt und im Gegenzug ca. 2000 Fälle von den Kommunen erhält.

Für das Haushaltsjahr 2020 hat dies unter dem Strich eine Mehrbelastung von rund 96 Millionen Euro für die Städte und Landkreise zur Folge.

Der LWV hat im Juni 2019 Eckwerte für den Haushalt 2020 verabschiedet, wonach die Verbandsumlage 2020 um fünf Millionen Euro sinkt, d.h. die Mehrbelastung der Kommunen entspannt nicht automatisch den Haushalt des Landeswohlfahrtsverbandes und kann nur ansatzweise kompensiertwerden. Dafür sind vor allem zwei Gründe neben dem personellen Mehrbedarf verantwortlich:

    •    42 Millionen Euro sind für weitere Fallsteigerungen eingeplant. Wie im bundesweiten Trend, steigen die Fallzahlen auch beim LWV nach wie vor.

    •    53,8 Millionen Euro mehr müssen durch die beschlossenen Tarifsteigerungen in den LWV-Haushalt 2020 eingestellt werden. Da durch das Bundesteilhabe-Gesetz eine Tarifsteigerung zwischen 2017 und 2019 ausgeschlossen war, sind die Abschlüsse mit 4,25 Prozent für besondere Wohnformen (bisher stationäres Wohnen) und 4,6 Prozent im Betreuten Wohnen entsprechend hoch ausgefallen.

Haushaltsverbesserungen aus dem laufen Jahr sowie aus den Jahresabschlüssen der vergangenen Jahr werden – wie bisher auch – zur Verbesserung des Haushaltes herangezogen.

In einigen Kreisen sind Anträge, vornehmlich von der SPD, aufgetaucht, die das Land auffordern die Mehrbelastung durch das BTHG auszugleichen. Es gibt dazu keinen Beschluss der Verbandsversammlung im LWV und es gibt auch keine Initiative der Koalition im LWV. Wir geben hierzu auch keine Empfehlung zum Umgang mit diesen Anträgen. Es geht hier originär um das Verhältnis zwischen Städten/Landkreisen und dem Land Hessen.

Zum Hintergrund:
Vor der vorletzten Bundestagswahl und der Verabschiedung wurden den Kommunen durch die Bundesregierung 5 Milliarden Euro zur Kompensation des Bundesteilhabegesetzes in Aussicht gestellt. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene 2013 wurde der direkte Zusammenhang zwischen BTHG und Entlastung nicht vereinbart. Das Bundesteilhabegesetz wurde beschlossen und auch die 5 Milliarden Euro Entlastung wurde über einen erhöhten Umsatzsteueranteil der Länder, erhöhte kommunale Anteile an der Umsatzsteuer und eine erhöhte Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft (KDU) an die Kommunen weitergegeben.

Durch die Einführung des BTHG gibt es noch viele Unwägbarkeiten, die auch in der Zukunft Mehrkosten verursachen werden. Die vom Bund erwartete sogenannte „Effizienzrendite“ durch verbesserte Möglichkeiten der Steuerung von anfangs 1,5 Prozent und später 3 Prozent ist derzeit nicht zu erkennen.

Zur Evaluation der tatsächlichen Kostenveränderungen gibt es auf Bundesebene eine Finanzuntersuchung, die bis zum 2022 läuft.

Auf hessischer Ebene wurde mit HAG/SGB IX in §12 eine Kostenevaluation aufgenommen:
„Das für die Eingliederungshilfe zuständige Ministerium prüft in Abstimmung mit dem Hessischen Landkreistag, dem Hessischen Städtetag, dem Landeswohlfahrtsverband Hessen, dem für kommunale Angelegenheiten zuständigen Ministerium und dem Ministerium der Finanzen zum 1. Januar 2021, zum 1. Januar 2023 und danach alle fünf Jahre die finanziellen Auswirkungen der Umsetzung des Neuntes Buch Sozialgesetzbuch.“

Der Hessische Städtetag und der Hessischer Landkreistag haben bislang, auch auf Grund von geringen Erfolgsaussichten, von einer Konnexitätsklage gegenüber dem Land abgesehen.

Trotz der Umsetzungsprobleme ist der Ansatz einer zunehmend differenzierten Personenzentrierung im Bereich Wohnen und Arbeiten der richtige Weg. Er ist nicht nur humaner, inklusiver sondern auch in der Tendenz wirtschaftlicher. Umso personenbezogener die Hilfen, umso passgenauer das Angebot, umso wirtschaftlicher ist seine Umsetzung.

Hessen gehört zu den Flächenbundesländern mit einer überdurchschnittlichen Quote des personenzentrierten Ansatzes. Die sogenannte „Ambulantisierungsquote“ liegt 2019 bei über 56 Prozent. Das bedeutet, dass der Anteil der in einem Wohnheim untergebrachten Menschen mit Behinderungen von Jahr zu Jahr sinkt – mit dem Ergebnis, dass auch die durchschnittlichen Fallkosten dementsprechend abnehmen.

Als GRÜNE im Land Hessen verfolgen wir auf Landes- und kommunaler Ebene, sowie beim LWV ein Ziel: Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. Dies ist nur möglich, wenn wir uns an den Bedarfen der Menschen orientieren.

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